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BAG, Ur­teil vom 23.09.2009, 4 AZR 382/08

   
Schlagworte: Eingruppierung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 4 AZR 382/08
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 23.09.2009
   
Leitsätze: Die Zeit einer Tätigkeit als Arzt/Ärztin im Praktikum ist keine Vorzeit ärztlicher Tätigkeit im Sinne von § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärzte/TdL.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Essen, Urteil vom 23.11.2007 - 5 Ca 2451/07
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 16.4.2008 - 12 Sa 2237/07
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


4 AZR 382/08
12 Sa 2237/07
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Düssel­dorf

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
23. Sep­tem­ber 2009

UR­TEIL

Frei­tag, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Vier­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 23. Sep­tem­ber 2009 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Be­p­ler, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Creutz­feldt, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Win­ter so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Klotz und Hess für Recht er­kannt:
 


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1. Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 16. April 2008 - 12 Sa 2237/07 - wird zurück­ge­wie­sen.


2. Die Kläge­rin hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten im Rah­men der Überführung des Ar­beits­verhält­nis­ses der Kläge­rin vom Bun­des-An­ge­stell­ten­ta­rif­ver­trag (BAT) in den Ta­rif­ver­trag für Ärz­tin­nen und Ärz­te an Uni­ver­sitätskli­ni­ken vom 30. Ok­to­ber 2006 (TV-Ärz­te/TdL) über die An­re­chen­bar­keit der von der Kläge­rin als Ärz­tin im Prak­ti­kum (AiP) zurück­ge­leg­ten Zei­ten für die Stu­fen­zu­ord­nung nach § 16 Abs. 2 des TV-Ärz­te/TdL.


Die Kläge­rin war vom 1. Ju­li 2001 bis 31. De­zem­ber 2002 zunächst als AiP beim Land Nord­rhein-West­fa­len, dem Rechts­vorgänger der Be­klag­ten, beschäftigt. Seit dem 1. Ja­nu­ar 2003 war sie als Ärz­tin in der Wei­ter­bil­dung zur Fachärz­tin für Kin­der- und Ju­gend­me­di­zin bei der Be­klag­ten an­ge­stellt. Die Be­klag­te zahl­te an die Kläge­rin im Zeit­raum vom 1. Ju­li 2006 bis zum 31. De­zem­ber 2006 Vergütung nach der Stu­fe 4 der Ent­gelt­grup­pe Ä 1 („im 4. Jahr“) des TV-Ärz­te/TdL in Höhe von mo­nat­lich 4.200,00 Eu­ro brut­to.


Mit ih­rer Kla­ge be­gehrt die Kläge­rin für die­sen Zeit­raum den Dif­fe­renz­be­trag von mo­nat­lich 300,00 Eu­ro brut­to zur Vergütung nach Stu­fe 5 der Ent­gelt­grup­pe Ä 1 („ab dem 5. Jahr“) des TV-Ärz­te/TdL. Nach er­folg­lo­ser Gel­tend­ma­chung hat die Kläge­rin im Ju­li 2007 Kla­ge er­ho­ben. Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass ih­re Tätig­keits­zeit als AiP als „Vor­zei­ten ärzt­li­cher Tätig­keit“ nach § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärz­te/TdL an­zu­rech­nen und sie da­her ab dem 1. Ju­li 2006 Ärz­tin im fünf­ten Jahr iSd. Ent­gelt­ta­bel­le ge­we­sen sei. Je­den­falls müsse die Be­klag­te gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärz­te/TdL die AiP-Zeit als „Zei­ten von Be­rufs­er­fah­rung aus nicht ärzt­li­cher Tätig­keit“ berück­sich­ti­gen. Die
 


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ge­gen­tei­li­ge, al­lein von fi­nan­zi­el­len In­ter­es­sen ge­tra­ge­ne Ent­schei­dung der Be­klag­ten, AiP-Zei­ten ge­ne­rell nicht an­zu­er­ken­nen, stel­le ei­ne un­ter­las­se­ne, je­den­falls nicht sach­ge­rech­te Er­mes­sens­ausübung dar.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt, 


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin 1.800,00 Eu­ro brut­to zu zah­len nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz aus mo­nat­lich je­weils 300,00 Eu­ro seit dem 31. Ju­li 2006, 31. Au­gust 2006, 30. Sep­tem­ber 2006, 31. Ok­to­ber 2006, 30. No­vem­ber 2006 und dem 31. De­zem­ber 2006.


Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Die Kläge­rin ha­be als AiP kei­ne ta­rif­lich re­le­van­ten „ärzt­li­chen Tätig­kei­ten“ iSd. § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärz­te/TdL ver­rich­tet. Auch feh­le es an ein­schlägi­ger Be­rufs­er­fah­rung iSd. Ta­rif­vor­schrift. Sch­ließlich sei durch die Zeit als AiP auch kei­ne an­re­chen­ba­re Be­rufs­er­fah­rung aus nicht ärzt­li­cher Tätig­keit gemäß § 16 Abs. 2 Sätze 1 und 2 TV-Ärz­te/TdL er­wor­ben wor­den. Auch aus an­de­ren Ta­rif­nor­men las­se sich nicht ab­lei­ten, dass AiP-Zei­ten bei der Stu­fen­zu­ord­nung ei­ne Rol­le spiel­ten.


Bei­de Vor­in­stan­zen ha­ben die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ihr Kla­ge­be­geh­ren wei­ter. Die Be­klag­te be­an­tragt die Zurück­wei­sung der Re­vi­si­on.


Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ist un­be­gründet. Die Vor­in­stan­zen ha­ben die Kla­ge zu Recht ab­ge­wie­sen. Die Be­klag­te ist nicht ver­pflich­tet, an die Kläge­rin für den Zeit­raum vom 1. Ju­li 2006 bis zum 31. De­zem­ber 2006 Vergütung nach der Stu­fe 5 der Ent­gelt­grup­pe Ä 1 des TV-Ärz­te/TdL zu zah­len. Die Kläge­rin war im Streit­zeit­raum nicht „Ärz­tin ... ab dem 5. Jahr“ iSd. An­la­ge A 1 zum TV-Ärz­te/TdL.


I. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Vor­aus­set­zung der „ein­schlägi­gen Be­rufs­er­fah­rung“ nach § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärz­te/TdL durch die Tätig­keit als



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AiP nicht als erfüllt an­ge­se­hen. Die Tätig­keit als AiP sei kei­ne „ärzt­li­che Tätig­keit“ im Ta­rif­sin­ne, da während die­ser Tätig­keit zum ei­nen noch die Ap­pro­ba­ti­on ge­fehlt und zum an­de­ren nur ei­ne Er­laub­nis nach § 10 Abs. 4 BÄO vor­ge­le­gen ha­be. Auch sei der Ein­satz der Ärz­te im Prak­ti­kum nur ent­spre­chend dem je­wei­li­gen Aus­bil­dungs­stand er­folgt. Die­se Aus­le­gung ste­he im Ein­klang mit der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung (zB BAG 25. Sep­tem­ber 1996 - 4 AZR 200/95 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 218). Den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en des TV-Ärz­te/TdL sei die­se Recht­spre­chung be­kannt ge­we­sen. Al­lein der Um­stand, dass im TV-Ärz­te/TdL ei­ne neue Vergütungs­struk­tur ge­schaf­fen wor­den sei, las­se nicht die Un­ter­schei­dung zwi­schen der Tätig­keit des AiP und ärzt­li­cher Tätig­keit im en­ge­ren Sin­ne ent­fal­len. Ei­nen ab­wei­chen­den Re­ge­lungs­wil­len hätten die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en des TV-Ärz­te/TdL nicht mit hin­rei­chen­der Klar­heit zum Aus­druck ge­bracht. Die Vor­aus­set­zung der „nichtärzt­li­chen Be­rufs­er­fah­rung“ nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärz­te/TdL hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt als erfüllt an­ge­se­hen, je­doch die Ent­schei­dung der Be­klag­ten, die AiP-Zeit nicht im Rah­men der Stu­fen­zu­ord­nung an­zu­rech­nen, als er­mes­sens­feh­ler­frei be­trach­tet. § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärz­te/TdL ha­be er­kenn­bar zum Re­ge­lungs­zweck, AiP-Zei­ten nicht au­to­ma­tisch, son­dern nur op­tio­nal als ärzt­li­che Tätig­keit zu be­han­deln. Die Be­klag­te ha­be nicht er­mes­sens­feh­ler­haft ent­schie­den, Zei­ten als AiP in die­sem Rah­men ge­ne­rell nicht zu berück­sich­ti­gen. Auch wenn die Tätig­keit als AiP den in § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärz­te/TdL erwähn­ten „Vor­zei­ten ärzt­li­cher Tätig­keit“ na­he kom­me, sei da­durch je­doch die Er­mes­sens­ausübung der Be­klag­ten nicht ein­ge­engt.


II. Die hier­ge­gen ge­rich­te­te Re­vi­si­on der Kläge­rin hat kei­nen Er­folg. Die von der Kläge­rin zurück­ge­leg­te Zeit als AiP ist nicht gemäß § 16 Abs. 2 TV-Ärz­te/TdL bei der Stu­fen­zu­ord­nung zu berück­sich­ti­gen.

1. Für die Ent­schei­dung sind die fol­gen­den ta­rif­li­chen Re­ge­lun­gen von Be­deu­tung:

§ 5 des Ta­rif­ver­trags zur Über­lei­tung der Ärz­tin­nen und Ärz­te an Uni­ver­sitätskli­ni­ken (TVÜ-Ärz­te/TdL) hat den Wort­laut:
 

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„Stu­fen­zu­ord­nung der Ärz­te


1Die Ärz­te wer­den der­je­ni­gen Stu­fe der Ent­gelt­grup­pe (§ 12 TV-Ärz­te) zu­ge­ord­net, die sie er­reicht hätten, wenn die Ent­gelt­ta­bel­le für Ärz­tin­nen und Ärz­te be­reits seit Be­ginn ih­rer Zu­gehörig­keit zu der für sie maßge­ben­den Ent­gelt­grup­pe ge­gol­ten hätte. 2Für die Stu­fen­fin­dung bei der Über­lei­tung zählen die Zei­ten im jet­zi­gen Ar­beits­verhält­nis zu dem­sel­ben Ar­beit­ge­ber. 3Für die Berück­sich­ti­gung von Vor­zei­ten ärzt­li­cher Tätig­keit bei der Stu­fen­fin­dung gilt § 16 Abs. 2 TV-Ärz­te.“


§ 12 TV-Ärz­te/TdL lau­tet:

Ein­grup­pie­rung

Ärz­te sind ent­spre­chend ih­rer nicht nur vorüber­ge­hend und zeit­lich min­des­tens zur Hälf­te aus­zuüben­den Tätig­keit wie folgt ein­grup­piert:
Ent­gelt- Be­zeich­nungs­grup­pe
Ä 1
Ärz­tin/Arzt mit ent­spre­chen­der Tätig­keit
Ä 2 Fachärz­tin/Fach­arzt mit ent­spre­chen­der Tätig­keit
Ä 3 Oberärz­tin/Ober­arzt
...
Ä 4 Fachärz­tin/Fach­arzt, der/dem die ständi­ge Ver­tre­tung des lei­ten­den Arz­tes (Chef­arzt) vom Ar­beit­ge­ber über­tra­gen wor­den ist.
...“

In § 16 TV-Ärz­te/TdL heißt es: 


„Stu­fen der Ent­gelt­ta­bel­le


(1) 1Die Ent­gelt­grup­pe Ä 1 um­fasst fünf Stu­fen; die Ent­gelt­grup­pen Ä 2 bis Ä 4 um­fas­sen drei Stu­fen. 2Die Ärz­te er­rei­chen die je­weils nächs­te Stu­fe nach den Zei­ten ärzt­li­cher (Ä 1), fachärzt­li­cher (Ä 2), oberärzt­li­cher (Ä 3) Tätig­keit be­zie­hungs­wei­se der Tätig­keit als ständi­ger Ver­tre­ter des lei­ten­den Arz­tes (Chef­arz­tes), die in den Ta­bel­len (An­la­gen A und B) an­ge­ge­ben sind.


(2) 1Für die An­rech­nung von Vor­zei­ten ärzt­li­cher Tätig­keit gilt Fol­gen­des: Bei der Stu­fen­zu­ord­nung wer­den Zei­ten mit ein­schlägi­ger Be­rufs­er­fah­rung als förder-



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li­che Zei­ten berück­sich­tigt. 2Zeiten von Be­rufs­er­fah­rung aus nichtärzt­li­cher Tätig­keit können berück­sich­tigt wer­den.“


2. Die Aus­le­gung ei­nes Ta­rif­ver­trags durch das Be­ru­fungs­ge­richt ist in der Re­vi­si­ons­in­stanz in vol­lem Um­fang nach­zu­prüfen (BAG 19. Sep­tem­ber 2007 - 4 AZR 670/06 - Rn. 30, BA­GE 124, 110). Da­bei folgt die Aus­le­gung des nor­ma­ti­ven Teils ei­nes Ta­rif­ver­trags nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts den für die Aus­le­gung von Ge­set­zen gel­ten­den Re­geln. So­mit ist zunächst vom Ta­rif­wort­laut aus­zu­ge­hen, wo­bei der maßgeb­li­che Sinn der Erklärung zu er­for­schen ist, oh­ne am Buch­sta­ben zu haf­ten. Bei nicht ein­deu­ti­gem Ta­rif­wort­laut ist der wirk­li­che Wil­le der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en mit zu berück­sich­ti­gen, so­weit er in den ta­rif­li­chen Nor­men sei­nen Nie­der­schlag ge­fun­den hat. Ab­zu­stel­len ist fer­ner auf den ta­rif­li­chen Ge­samt­zu­sam­men­hang, weil die­ser An­halts­punk­te für den wirk­li­chen Wil­len der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en lie­fern und nur so der Sinn und Zweck der Ta­rif­norm zu­tref­fend er­mit­telt wer­den kann. Lässt dies zwei­fels­freie Aus­le­gungs­er­geb­nis­se nicht zu, können die Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen oh­ne Bin­dung an die Rei­hen­fol­ge wei­te­re Kri­te­ri­en wie die Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Ta­rif­ver­tra­ges, ggf. auch die prak­ti­sche Ta­rifübung ergänzend hin­zu­zie­hen. Auch die Prak­ti­ka­bi­lität denk­ba­rer Aus­le­gungs­er­geb­nis­se gilt es zu berück­sich­ti­gen; im Zwei­fel gebührt der­je­ni­gen Ta­rif­aus­le­gung der Vor­zug, die zu ei­ner vernünf­ti­gen, sach­ge­rech­ten, zweck-ori­en­tier­ten und prak­tisch brauch­ba­ren Re­ge­lung führt (st. Rspr., et­wa BAG 26. Ja­nu­ar 2005 - 4 AZR 6/04 - mwN, BA­GE 113, 291, 299).

3. Die Aus­le­gung des TV-Ärz­te/TdL durch das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist im Er­geb­nis zu­tref­fend. Bei der Tätig­keit der Kläge­rin als AiP han­delt es sich nicht um ei­ne bei der Stu­fen­fin­dung zu berück­sich­ti­gen­de Vor­zeit ärzt­li­cher Tätig­keit iSd. § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärz­te/TdL, die nach § 5 Satz 3 TVÜ-Ärz­te/TdL nach der Über­lei­tung der Kläge­rin in den TV-Ärz­te/TdL für die Höhe der mo­nat­li­chen Vergütung Be­deu­tung er­lan­gen kann.


a) Mit dem Be­griff der „ärzt­li­chen Tätig­keit“ iSd. § 16 Abs. 2 Satz 1 TV- Ärz­te/TdL wird an das ein­schlägi­ge Me­di­zi­nal­recht an­ge­knüpft, nach dem die
 


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Ap­pro­ba­ti­on als Arzt Vor­aus­set­zung der Ausübung des ärzt­li­chen Be­ru­fes ist. Dem ent­spricht die frühe­re Tätig­keit als AiP nicht. Ärz­te im Prak­ti­kum wa­ren nicht voll ap­pro­biert. Ih­re Tätig­keit war Teil der für die Vol­l­ap­pro­ba­ti­on er­for­der­li­chen Aus­bil­dung. Sie stan­den nicht in ei­nem Ar­beits-, son­dern in ei­nem Aus­bil­dungs­verhält­nis.


aa) Die Par­tei­en des TV-Ärz­te/TdL ha­ben in § 16 ver­bind­lich fest­ge­legt, wie sie das in § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärz­te/TdL ent­hal­te­ne Merk­mal der Vor­zei­ten „ärzt­li­cher Tätig­keit“ ver­stan­den wis­sen wol­len. In § 16 Abs. 1 Satz 2 TV-Ärz­te/TdL de­fi­nie­ren sie mit Hil­fe der Klam­mererläute­rung „Zei­ten ärzt­li­cher (Ä 1) ... Tätig­keit“, was ge­meint ist: ei­ne Tätig­keit, die den An­for­de­run­gen der Ent­gelt­grup­pen Ä 1 des § 12 TV-Ärz­te/TdL ent­spricht, al­so die Tätig­keit als Ärz­tin/Arzt mit ent­spre­chen­der Tätig­keit. Die­se Be­griffs­be­stim­mung ha­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en im un­mit­tel­bar an­sch­ließen­den § 16 Abs. 2 Satz 1 un­verändert auf­ge­nom­men, in­dem sie er­neut von Vor­zei­ten „ärzt­li­cher Tätig­keit“ spre­chen. Da­mit ha­ben die Par­tei­en des TV-Ärz­te/TdL fest­ge­legt, dass zu den Zei­ten ärzt­li­cher Tätig­keit nur sol­che zählen, die als ap­pro­bier­te Ärz­tin oder ap­pro­bier­ter Arzt zurück­ge­legt wor­den sind (vgl. BAG 25. Sep­tem­ber 1996 - 4 AZR 200/95 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 218; 10. De­zem­ber 1997 - 4 AZR 39/96 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 238).

Da­zu gehören frühe­re Tätig­keits­zei­ten als AiP nicht. Wie sich aus § 3 1Abs. 1 Nr. 5 der Bun­desärz­te­ord­nung (BÄO) bis zur ih­rer No­vel­lie­rung zum 1. Ok­to­ber 2004 er­gab, war die 18-mo­na­ti­ge Tätig­keit als Arzt im Prak­ti­kum not­wen­di­ger „Teil der Aus­bil­dung“ ei­nes Arz­tes/ei­ner Ärz­tin. Nach § 34b Satz 1 und 5 der da­ma­li­gen Fas­sung der Ap­pro­ba­ti­ons­ord­nung für Ärz­te (ÄAp­prO) wur­de der AiP im Hin­blick auf das Aus­bil­dungs­ziel, den ärzt­li­chen Be­ruf ei­gen­ver­ant­wort­lich und selbständig ausüben zu können, un­ter Auf­sicht von Ärz­ten, die ei­ne Ap­pro­ba­ti­on als Arzt oder ei­ne Er­laub­nis zur vorüber­ge­hen­den Ausübung des ärzt­li­chen Be­rufs nach § 10 Abs. 1 BÄO be­saßen, ärzt­lich tätig. In die­ser Aus­bil­dungs­zeit wa­ren da­mit zwar Tätig­kei­ten zu ver­rich­ten, die de­nen ap­pro­bier­ter Ärz­te ver­gleich­bar wa­ren. Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ha­ben aber durch ih­re ta­rif­au­to­no­me Fest­le­gung geklärt, dass es im Rah­men der Stu­fen-
 


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fin­dung nach § 16 TV-Ärz­te/TdL nicht hier­auf, son­dern auf ei­ne Tätig­keits­zeit als ap­pro­bier­te Ärz­tin oder ap­pro­bier­ter Arzt an­kommt.


bb) Für die Nicht­berück­sich­ti­gung der AiP-Zei­ten spricht auch § 5 TVÜ-Ärz­te/TdL, der für die Stu­fen­fin­dung bei der Über­lei­tung in den TV-Ärz­te/TdL aus­drück­lich Be­zug nimmt auf „Zei­ten im jet­zi­gen Ar­beits­verhält­nis“. Aus dem Wort­laut er­gibt sich da­mit, dass nur Zei­ten an­ge­rech­net wer­den können, die in ei­nem Ar­beits­verhält­nis er­bracht wor­den sind. Zei­ten des Aus­bil­dungs­verhält­nis­ses, zu de­nen die Tätig­keit als AiP gehört, wer­den durch den Wort­laut aus­ge­schlos­sen. Bei dem Ver­trag über die Tätig­keit ei­nes Arz­tes im Prak­ti­kum han­del­te es sich nach der ent­spre­chen­den Fest­le­gung durch den Ge­setz­ge­ber nicht um ei­nen Ar­beits­ver­trag, son­dern um ei­nen Aus­bil­dungs­ver­trag (BAG 14. No­vem­ber 2001 - 7 AZR 576/00 - BA­GE 99, 303).


Die feh­len­de Berück­sich­ti­gungsfähig­keit von Zei­ten des Aus­bil­dungs­verhält­nis­ses zeigt sich im Übri­gen auch durch die Ver­wen­dung des Be­grif­fes der „Be­rufs­er­fah­rung“ in § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärz­te/TdL. Aus­bil­dungs­zei­ten be­rei­ten auf den Be­ruf vor (vgl. auch Du­den Das große Wörter­buch der deut­schen Spra­che 3. Aufl. Stich­wort „aus­bil­den“), sind die­sem al­so zeit­lich vor­ge­la­gert und können des­halb nicht gleich­zei­tig als Er­fah­rung „im Be­ruf“ (vgl. Du­den Das große Wörter­buch der deut­schen Spra­che 3. Aufl. Stich­wort „Be­rufs­er­fah­rung“) gel­ten.

cc) Die vor­ge­nom­me­ne Aus­le­gung wird da­durch gestützt, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en des TV-Ärz­te/TdL ih­re Re­ge­lung in Kennt­nis der ein­schlägi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zu ver­gleich­ba­ren Re­ge­lun­gen im Vorgänger­ta­rif­ver­trag BAT ge­trof­fen ha­ben und durch nichts zum Aus­druck ge­bracht ha­ben, dass sie von ei­ner an­de­ren Be­griff­lich­keit aus­ge­hen. Nach die­ser Recht­spre­chung war die Tätig­keit als AiP kei­ne ärzt­li­che Tätig­keit iSd. VergGr. Ib Fall­gr. 7 des Ta­rif­ver­trags zur Ände­rung und Ergänzung der An­la­ge 1a zum BAT/VKA (Ärz­te, Apo­the­ker, Tierärz­te, Zahnärz­te) vom 23. Fe­bru­ar 1972 (25. Sep­tem­ber 1996 - 4 AZR 200/95 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 218) und iSd. VergGr. Ib Fall­gr. 13 der An­la­ge 1a zum BAT/BL (10. De­zem­ber 1997 - 4 AZR 39/96 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 238). Auch ge­genüber der Ent-


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schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, wo­nach Ge­gen­stand des Ver­trags über die Tätig­keit als AiP nicht die ent­gelt­li­che Leis­tung abhängi­ger Diens­te, son­dern die Aus­bil­dung war (14. No­vem­ber 2001 - 7 AZR 576/00 - BA­GE 99, 303), ha­ben sie kei­ne Ab­gren­zung vor­ge­nom­men. Sie ha­ben er­neut auf den Be­griff der ärzt­li­chen Tätig­keit ab­ge­stellt, oh­ne ihn neu und ab­wei­chend zu de­fi­nie­ren und ins­be­son­de­re die AiP-Zeit zu ei­ner Form ärzt­li­cher Tätig­keit zu erklären, und sei es auch nur in Form ei­ner Fik­ti­on. Die un­ein­ge­schränk­te Wei­ter­ver­wen­dung des Be­griffs der ärzt­li­chen Tätig­keit zeigt den Wil­len der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en die­sen Be­griff in sei­ner bis­he­ri­ger Aus­le­gung auch der neu­en Vergütungs­struk­tur zu­grun­de zu le­gen. Ei­nen an­ders­lau­ten­den Re­ge­lungs­wil­len ha­ben sie an­ders als bei an­de­ren Ta­rif­verträgen im Be­reich der Ärz­te, an de­nen die ta­rif­sch­ließen­de Ge­werk­schaft be­tei­ligt war, nicht deut­lich ge­macht (vgl. dem­ge­genüber bei­spiels­wei­se § 19 Abs. 2 Satz 2 des Ta­rif­ver­trags für Ärz­tin­nen und Ärz­te an kom­mu­na­len Kran­kenhäusern im Be­reich der kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­verbände [TV-Ärz­te/VKA] vom 17. Au­gust 2006).


b) Ge­mes­sen an die­sen Vor­aus­set­zun­gen ist die Tätig­keit der Kläge­rin als AiP im Zeit­raum vom 1. Ju­li 2001 bis 31. De­zem­ber 2002 nicht als „ärzt­li­che Tätig­keit“ bei der Stu­fen­fin­dung nach § 5 Satz 3 TVÜ-Ärz­te/TdL iVm. § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-Ärz­te/TdL zu berück­sich­ti­gen.


4. Die Kläge­rin kann den gel­tend ge­mach­ten An­spruch auch nicht auf § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärz­te/TdL stützen.

Ei­ne An­rech­nung der Tätig­keit als AiP als Zeit der Be­rufs­er­fah­rung aus nichtärzt­li­cher Tätig­keit nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärz­te/TdL schei­tert be­reits dar­an, dass die­se Aus­bil­dungs­zeit nicht als Zeit der Be­rufs­er­fah­rung ge­wer­tet wer­den kann, so dass es, an­ders als das Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­meint hat, nicht mehr auf die Fra­ge ei­ner Er­mes­sens­ausübung an­kommt, die nur dann in Be­tracht kommt wenn es sich über­haupt um Zei­ten der „Be­rufs-“er­fah­rung han­delt.
 


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III. Die Kläge­rin hat die Kos­ten ih­rer er­folg­lo­sen Re­vi­si­on nach § 97 ZPO zu tra­gen.

Be­p­ler 

Creutz­feldt 

Win­ter

H. Klotz 

Th. Hess

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